Die Bundestagswahlen sind zwar durch, aber viel ruhiger als zu Wahlkampfzeiten ist es irgendwie trotzdem noch nicht. Vielleicht wird es nach den Koalitionsverhandlungen besser, wobei das bei mir ehrlicherweise mehr Hoffnung als Glaube ist. Ein zentrales Thema - wenn nicht sogar das zentrale Thema - ist aktuell die Lockerung der Schuldenbremse (Wie sinnvoll eine lockere Bremse ist, muss jeder selbst entscheiden) bzw. das meiner Meinung nach recht großzügig ausgestaltete Sondervermögen. Irgendwo muss Geld her, aber zahlen will es seltsamerweise (welch Wunder) keiner. Und ja, auch ich laufe mit keinem Schild durch die Stadt, auf dem "Lieber Staat, bitte besteuere mich" zu lesen ist. Man macht die Hand eben lieber auf, als das man sie reicht.
Auf jeden Fall wird Geld benötigt, sei es für Wirtschaftswachstum, Klima, Verteidigung, Grundsicherung oder meinetwegen auch die 4-Tage-Woche. Die "Lösung" Sondervermögen gibt es schließlich aber nur, weil der Staat zu wenig Einnahmen generiert/erwirtschaftet, um (geplante) Ausgaben zu finanzieren. Die Gretchenfrage ob Einnahmen - oder Ausgabeproblem will ich heute aber gar nicht anreißen und mich auf mögliche Einnahmen beschränken. Sondervermögen hat nicht umsonst [be]sonder[s] im Namen, es sollte die Ausnahme bleiben. Und am Ende des Tages muss auch ein Sondervermögen finanziert werden.
Generell ist das mit der Umverteilung (Stichwort Allokationsfunktion des Staates) eh so eine Sache, ich verweise da mal auf einen über 15 Jahre alten Post: Reichtum für alle - Reichtum besteuern. Erst gebe ich was, dann nehme ich es wieder...
Geld ist grundsätzlich zwar da, aber ungleich verteilt und nicht in öffentlicher Hand. Anders formuliert, es muss mehr zum Verteilen beschafft (oder andernorts gekürzt) werden. Aber wen soll man schröpfen, wen soll man angehen? Meine Hypothese: Egal, an welchen Personenkreis man als potentielle Zahler denkt, sich selbst sieht man meist eher am Ende der Gedankenkette.
Bei mir ist es wie bei vielen anderen im Bekanntenkreis. Reich (der rein finanzielle Aspekt) ist man zwar nicht, es geht einem im Grunde aber gar nicht so schlecht. Das Auto ist klein und zweckmäßig, aber man hat eines; das Konto ist leer, dafür ist der Kühlschrank voll und ein Urlaub pro Jahr ist im Normalfall auch immer drin. Worauf ich hinaus will: Ich sehe mich gesellschaftlich irgendwo in der Mitte angesiedelt. Nicht arm, aber auch nicht verpflichtet, der gute Samariter zu sein. Ich habe einen Job, ein kleines Auto, eine nette Wohnung...Mir geht es gut. Ich fahre allerdings weder einen Maybach noch habe ich 10.000€ unter dem Kopfkissen, wenn es um die Frage nach Stopfen von Haushaltslöchern geht, würde ich nicht als erster die Hand heben. Fiktive herrschende Stammtischmeinung: Wenn Geld fehlt, dann sollen dafür doch bitte die Wohlhabenden aufkommen, denen geht´s eh viel zu gut und die wissen doch sowieso nicht wohin mit dem ganzen Geld. Ich kann zwar meine Rechnungen zahlen, aber bei aller Liebe, reich bin ich nun wirklich nicht. "Die da oben" aber schon, sollen die doch bluten:
Jetzt hat Robin Hood prinzipiell eine gute Story, nur kann man sie eben nicht 1:1 in den Alltag übertragen. Klar, wer mehr hat, sollte irgendwo auch mehr geben, aber diese Zwangssolidarität wird ja bereits durch die verschiedenen Steuersätze abgebildet. Je Höher das Einkommen, desto höher die Steuer. Und auch wenn er mich (in diesem Fall leider) nicht betrifft, ein Spitzensteuersatz von 42 % ist schon nicht ohne, auch wenn der in den 90ern sogar bei 53% lag.
(Man sollte dabei natürlich auch die Einkommensgrenzen beachten. In Österreich z.B. liegt der Spitzensteuersatz bei satten 55% - Allerdings erst ab einem Einkommen von einer Million. In Deutschland greift der Spitzensteuersatz bereits ab ab 66.761 €)
Und jetzt wird es spannend. Eat the rich, die sind gefordert, aber wer ist eigentlich "reich"? Etwa ein Drittel aller deutschen Vermögen gehören gerade einmal gut einem Prozent, ist schon mal einen Basis. Damit der Post aber nicht zum Roman wird, beschränke ich mich vorerst auf die Idee, Einnahmen durch Einkommenssteuern zu erwirtschaften, denn wenn man von höheren Steuern im Allgemeinen / Reichensteuer spricht (was oft der Fall ist, wenn wild Gelder gefordert werden), wird es unstrukturiert: Einkommensteuer, Vermögensteuer, Erbschaftsteuer, Kapitalertragsteuer...Wer meine Meinung dazu wissen will, in Teilen habe ich dazu ja auch schon was geschrieben (Nach Sonderausgaben in dieser Höhe ist der Erbe zwar immer noch sehr reich, aber der Betrieb insolvent" oder es werden "Grenzen nach unten angepasst [...] und schwups, gilt man als Spitzenverdiener.")
Back to the main topic, wer gilt den nun als reich? Da ich mich wie gesagt auf Geld durch Einkommen beschränke, nehme ich die Beiträge der Steuerpflichtigen zum Einkommensteueraufkommen zur Hand. Das ist zwar nicht 100% sauber, aber so werden zumindest halbwegs Kinder und Co. berücksichtigt, die noch keine oder nur wenig Einkommen zu versteuern haben bzw. deren Einkommen schon versteuert wurden. Um es nicht komplizierter zu machen als es eh schon ist, lasse ich auch die Versteuerung der Rente so halb außer Acht, auch wenn alle, die 2058 oder später in Rente gehen werden, ihre Rente voll versteuern werden müssen.
Here we go, leider habe ich keine aktuellen Zahlen gefunden, 2018 ist jetzt aber auch noch nicht sooooo weit weg (Die 90er sind gefühlt ja auch noch keine 30 Jahre her)
Man sieht: Die unteren 50% haben ein Einkommen (Anteil am zu versteuernden Einkommen) von 17,2% und einen Anteil von 5,4% an der Einkommensteuer. Die oberen 10% haben einen Anteil am zu versteuernden Einkommen von 37% und einen Anteil von 54,8% an der Einkommensteuer.
So, und jetzt hoffe ich, dass man meine (Milchmädchen)Rechnung wenigstens ein bisschen nachvollziehen kann:
Die (untere) Hälfte hat wie erwähnt 17,2% Anteil am zu versteuernden Einkommen. Wären die unteren fünf Dezile gleich verteilt, wäre das pro Dezil 3,44% bzw. 1.08% Anteil an der Steuerlast. Bezogen auf die oberen 10% mit einen Anteil am zu versteuernden Einkommen von 37% entspricht das etwa dem Faktor 10,8 (37 geteilt durch 3,44). Das obere Zehntel hat also ca. das 10fache im Vergleich zu jedem Zehntel der unteren Hälfte, wenn ich den Mittelwert betrachte. Und das sorgt natürlich für Missmut. Selbst beim Vergleich des 1. und 2. Zehntels ergibt sich noch ein Faktor von 2,29, sprich man hat selbst hier nicht einmal die Hälfte des Zehntels über einem (Wir merken uns die beiden Einkommensfaktoren 10,8 und 2,29). Jeder, der nicht zum 1. Zehntel zählt, wird das unschön finden.
Tenor: Die oben stehen, haben ein viel höheres Einkommen, also sollten sie auch mehr Einkommensteuer zahlen. Klingt auf den ersten Blick auch nicht unfair, besonders die Linke schlägt in diese Kerbe. Das Problem, wie auf dem Diagramm unschwer zu erkennen ist: Die sogenannten Besserverdiener zahlen bereits mehr. Die Frage ist, zahlen sie genug, was ist fair?
Betrachtet man das Verhältnis [Anteil am zu versteuernden Einkommen - Anteil der Einkommensteuer] der einzelnen Dezile, zeigt sich ein schlüssiges Bild: Die oberen 10% haben wie schon geschrieben einen Anteil am zu versteuernden Einkommen von 37% und einen Anteil von 54,8% an der Einkommensteuer, was einem Verhältnis von 1,48 entspricht. Bei jedem anderen Dezil ist das Verhältnis schlechter, man hat nicht einmal die 1 vor dem Komma. Nach dieser Betrachtung stehen die oberen 10% schon jetzt mit Abstand am schlechtesten da.
Ich versuche, dass mal halbwegs sinnvoll einzuordnen. Schauen wir uns nun die beiden Beispiele an und stellen die Faktoren gegenüber:
Einkommensfaktor erstes Zehntel zu zweitem Zehntel: 2,29
Einkommensteuerfaktor erstes Zehntel (37 - 54,8): 1,48
Einkommensteuerfaktor zweites Zehntel (16,1 - 16): 0,99
-> 1,48 ist das 1,49fache von 0,99. Der Einkommensfaktor erstes Zehntel zu zweitem Zehntel ist 2,29, also größer. Das zeigt, dass Reiche eine höhere Steuerlast haben, aber nicht in dem Maße mehr, was ihr Vermögensplus im Vergleich zum zweiten Dezil hergeben würde. Das zeigt auch ein zweites Beispiel:
Einkommensfaktor erstes Zehntel zum Durchschnitt der unteren Hälfte: 10,8
Einkommensteuerfaktor erstes Zehntel (37 - 54,8): 1,48
Einkommensteuerfaktor Durchschnitt der unteren Hälfte bei Gleichverteilung (3,44 - 1,08): 0,31
-> 1,48 ist das 4,8fache von 0,31. Der Einkommensfaktor erstes Zehntel zum Durchschnitt der unteren Hälfte ist mit 10,8 ebenfalls größer.
Spitzenverdiener zahlen generell also immer mehr Einkommensteuern, stehen beim Einkommensfaktor aber auch besser da. Ist das jetzt fair, oder unfair? Sie zahlen mehr, haben aber auch überproportional mehr.
Damit niemand sagen kann ich unterschlage was: Auch diese Relation hat Ausnahmen, wie ein letztes Beispiel zeigt:
Einkommensteuerfaktor erstes Zehntel (37 - 54,8): 1,48
Einkommensteuerfaktor letztes Zehntel (2,5 - 0,2): 0,08
-> 1,48 ist das 18,5fache von 0,08. Der Einkommensfaktor erstes Zehntel zu letztem Zehntel ist aber 14,8 (37 durch 2,5).
Was lernt man daraus? Je nachdem wie man argumentieren will, kann man pro und contra Argumente finden, was denn nun fair ist oder auch nicht. Eine Idee wäre, zu versuchen, Einkommensfaktor und Einkommensteuerfaktor gleich zu halten. Das Problem: Wie will man das anstellen? Und selbst wenn man das hinkriegen würde, die Schere zwischen arm und reich wäre ja immer noch da, als fair würden das so oder so nicht viele betrachten. Ergebnis: Reiche zahlen stets mehr, die Frage ist, zahlen sie genug. Und die lässt sich je nach Argumentation mit ja oder nein beantworten. Ohne Topverdiener in Schutz nehmen zu wollen (warum auch), eine pauschale Antwort sehe ich hier ehrlicherweise nicht...Ich kann nicht objektiv beurteilen, ob die Steuerlast fair ist.
In diesem Sinne getreu nach Jupp Schmitz.
Wer soll das bezahlen?
Wer hat das bestellt?
Wer hat so viel Pinkepinke?
Wer hat so viel Geld?
Da beißt die Maus keinen Faden ab, die Besserverdiener werden auf jeden Fall gefragt sein, egal ob das jetzt als fair oder unverhältnismäßig erachtet wird. Ich befürchte nur, dass viele denken, als normaler Mittelständler wird man davon natürlich nicht betroffen sein. In Pandemiezeiten hat man im Zweifel von Vater Staat ja Unterstützung erhalten, man ist doch eher Empfänger als Einzahler. Ich bin da allerdings pessimistischer bzw. realistischer. Warum, versuche ich im letzten Teil des Posts darzulegen.
Gedankenspiel: Ich bleibe weiterhin bei der Annahme, dass "die Reichen" herhalten sollen; ganz allgemein, ohne dieses Mal eine bestimmte Steuer durchzuexerzieren. Wer hat denn nun Vermögen, von dem man was abzweigen kann, damit es fairer zugeht? Es muss doch Leute geben, die genug haben. Klar, Millionäre wären naheliegend, da haben wir in Deutschland auch gut 800.000. Die machen aber dummerweise nur 1% der Bevölkerung aus und das 1% die restlichen 99% finanziert, lässt sich nicht gut verkaufen. Ich bleibe daher bei den oberen 10% aus dem vorherigen Beispiel, ein bisschen Masse an zahlkräftigen Mitbürgern braucht es ja schon.
Wer trotz der Länge des Postings noch aufmerksam ist, hat u.U. bemerkt, dass im letzten Satz eine gewisse Brisanz steckt. Die oberen 10% sind gefühlt weit weg, aber Millionäre sind nur 1%, sprich 9 von 10 Leuten im Wohlstandsdezibel sind eben keine Millionäre sondern "lediglich" reich. Was heißt das genau? Zu den reichsten 10 Prozent der Deutschen gehört man mit einem Vermögen im Wert von ca. 280.000 Euro oder mehr. Keine Frage, 280.000€ ist ein Haufen Asche, mit dem Geld geht es einem sicher nicht schlecht. Potentielle Quelle, die Vater Staat anzapfen könnte, oder?
Aber: Was ist mit dem (ja, ich weiß, übertriebenes Beispiel) 80jährigen verwitweten Großmütterchen, das mit ihrer Rente gerade so über die Runden kommt, sich aber vor 50 Jahren mit ihrem Mann eine Wohnung gekauft hat? Diese wird selbst bewohnt und ist mittlerweile abbezahlt (das monatlich zu zahlende Wohngeld ignoriere ich mal). Je nach Lage wird so Wohnung aktuell schon noch ihre Viertelmillion wert sein, dazu noch ein bisschen Inneneinrichtung...
Das innere Teufelchen: "Die gehört zu den oberen 10%! Nieder mit ihr! Was interessiert mich ihre magere Rente, die hat doch Vermögen! Hart besteuern die gute Frau! Wie, das kann sie sich von ihren laufenden Einnahmen gar nicht leisten? Das grenzt ja schon fast an asozialem Verhalten! Wahrscheinlich ist die sogar Anfang 60 in Rente und schafft seit 20 Jahren nicht mehr! Die hat sich lange genug ausgeruht, Jobs sind doch da, soll sie wieder arbeiten gehen, Eigentum verpflichtet! Die Alten Klagen doch eh immer das sie alleine sind, zurück in die schöne Arbeitswelt, Minijobs annehmen, ´n bisschen was zur Wirtschaft beitragen. Besonders die Jugend will schließlich JETZT leben, die Alten hatten doch schon ihre Zeit. Die alte Egoistin! Am Ende hat die noch ihre 60m², die braucht die in dem Alter als Alleinstehende doch eh nicht mehr. Die soll endlich mal an die Jugend denken! Ha, 3-Zimmer Wohnung, da kann man doch eine super-duper WG draus machen. Her mit dem Wohnraum! Zusätzlich zur monetären Abgabe!"
Man kann minimal herauslesen, dass das in meinen Augen ein problembehafteter Ansatz ist. Und selbst ohne Härtefälle, ich hätte an der Spitze mit viel mehr Vermögen gerechnet. Das mit der breiten Mittelschicht in Deutschland scheint zu stimmen, und hier ist das "Problem". Die Mittelschicht wird es richten müssen, und da werde mutmaßlich auch ich meine Teilnahmeurkunde in Form von zusätzlichen/höheren Abgaben erhalten. Aus "die Mittelschicht muss gestärkt" kann ganz schnell ein "die Mittelschicht trägt unser Land, einen großen Applaus bitte" werden. Ich überbringe ja nur ungern schlechte Nachrichten, aber da werden viele, die nicht damit gerechnet haben, in den sauren Apfel beißen müssen.
Und bitte den Unterton nicht falsch verstehen, die Eingangs erwähnten Punkte (die 4-Tage-Woche ausgenommen) als auch faire Löhne, Grundsicherung, Wohnraum, alles wichtig. Aber all das muss auch finanziert werden, und ohne Zusatzbelastung für den Mittelstand ist mit den aktuellen Mitteln nicht mehr drin. Auch wenn man Sondervermögen schafft, wird das schlussendlich - so meine Prognose -jeder Einzelne von uns ausbaden müssen. Denkt an meinen kleinen Beitrag, wenn die Mehrwertsteuer erhöht wird.
Abschließend: Ich will natürlich auch, dass es keine große Schere zwischen arm und reich gibt und schlecht soll es natürlich auch niemandem gehen. Ich will nur anmerken, dass jeder, der prinzipiell schöne Forderungen stellt, davon ausgehen muss, selbst in die Pflicht genommen zu werden. Ich betrachte mich schon als halbwegs solidarisch, aber ich darf mich dann nicht beschweren, wenn ich zur Kasse gebeten werde.
Staatliche Aufgaben sind kein Wunschkonzert:
- Der Mindestlohn ist vielen zu niedrig - aber es gibt einen.
- Die Grundsicherung ist ebenfalls nicht sehr hoch, eine tolle Lebensqualität hat man so sicher nicht - aber keiner muss verhungern.
- Die Städte platzen, Mieten sind fast unbezahlbar - dem Gegenüber stehen viele freie Wohnungen, nur in sehr unattraktiven Gebieten. Wohnraum ist aber da.