Donnerstag, Februar 14, 2019

Mit zweierlei Maß messen

Anfang des Jahres hat Spiegel online einen Artikel mit dem Titel

Lehrergeständnis "Ich gebe nur noch gute Noten"

veröffentlicht. "Der Notendruck macht vielen Schülern Angst, er frustriert und manipuliert sie, behindert häufig das Lernen[...] Seitdem gibt es in meinem Unterricht nur noch gute Noten: Jeder bekommt eine Studienberechtigung."

Nett, oder? Gut, vielleicht etwas nah an der Montessoripädagogik (Jeder muss individuell solange gefördert werden, bis er zur Not ´nen Abschluss erhält, weil er ganz toll Luftballontiere knoten kann), aber die zarten Gefühle der Kinder müssen im Vordergrund stehen. Ein Durchfallen ist für die Psyche eines Jugendlichen keinstenfalls tragbar!
Im Großen und Ganzen muss es also das Ziel sein, jedem Schüler einen gleichwertigen Abschluss zu ermöglichen, letztlich käme es sonst zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft, depressiven und traumatisierten Schülern ("Ich wollte doch Nanostrukturtechniker werden, da darf mir mein IQ von 80 doch nicht im Weg stehen, Diskriminierung!") und unfairen Benachteiligungen.

Es kann schließlich nicht sein, dass man schlechter ist als andere. Im Zweifel ist dann eh erstmal die Lehrkraft schuld; wie sonst sollte es möglich sein, dass man bspw. in der Grundschule durch die Bank weg Einser schreibt, in der ersten Klausur am Gymnasium dann aber eine Vier mit nach Hause bringt? Es ist doch völlig ausgeschlossen, dass es bei Millionen von Schülern Bildungsunterschiede geben kann.

Trend ist: Jeder muss studieren, keiner darf durchfallen.

Viele Eltern finden diese Einstellung gut, da ihre Kinder alle Möglichkeiten haben sollten.

Nun eine Hypothese:

Angenommen, die oben erwähnte Lehrerin würde nun nicht in einer Schule, sondern in einer Fahrschule unterrichten. Sollten immer noch alle Schüler bestehen, unabhängig von der erbrachten Leistung? Ja oder Nein? Einfach mal Gedanken machen.

Zur Info:
"Bundesweit steigen seit Jahren die Durchfallquoten bei der Führerscheinprüfung für das Auto. Bei der Theorieprüfung aller Pkw-Klassen lag die Quote 2017 laut Kraftfahrt-Bundesamt bei 39 Prozent (2016: 37 Prozent). Bei der praktischen Prüfung für den Autoführerschein fielen 32 Prozent der Anwärter durch (Vorjahr: 31 Prozent)[...]Die Prüfung selbst sei nicht schwieriger geworden"

39% nicht bestandene Prüfungen, ein Skandal, oder? Da bezahlt man ein Heidengeld, und besteht nicht mal! Es müssen hier ja tausende depressive Fahrschüler herumlaufen (nicht fahren, he he)! Seltsamerweise hört man aber gar keinen Aufschrei, keine Gänge vor Gericht, um irgendeinen Abschluss einzuklagen oder wütende Eltern, die auf den Fahrlehrer schimpfen. Dies bringt micht zur Überschrift meines kleinen Gedankengangs.

Szenario 1:
Ein Schüler fällt durch eine Deutschklausur. Reaktion? Direktor anrufen und Lehrer diffamieren, Einspruch vorbereiten, "schreiben wie man spricht" fordern, Termin beim Psychiater vereinbaren.

Szenario 2:
Ein Fahrschüler fällt durch die Theorieprüfung. Reaktion? Prüfung wiederholen und mehr ins Zeug legen.

Erscheint mir auch realistisch, da es ja nicht so ist, dass 39% keinen Führerschein haben, die meisten packen es dann eben im im zweiten oder dritten Anlauf (Selbst wenn die 39%-Quote konstant wäre, hätten nach dem dritten Versuch erwartungswerttechnisch mehr als 94% einen Führerschein). Über den Schwierigkeitsgrad der Prüfung oder die Fähigkeiten des Fahrlehrers meckert keiner.

Überspitzt? Ja. Völlig aus der Welt gegriffen? Nein. Wo unterscheiden sich 30 Jahre Erfahrung als Fahrlehrer und 30 Jahre Erfahrung als Schullehrer?

Es stellt sich mir die Frage, warum schulischer Druck verantwortungslos sein soll, Druck bei der Fahrprüfung jedoch nicht. Die Antwort ist offensichtlich: Keiner hat Lust, sich überfahren zu lassen.

Wir lernen:

Scheitert jemand beim Führerschein, wird demjenigen bewusst gemacht, dass die aktuelle Leistung nicht ausreicht und man sich verbessern/besser lernen muss.

Scheitert jemand in der Schule: Anzeige ist raus.

Keine Kommentare: