Wer hier regelmäßig vorbeischaut weiß, dass ich im Grunde mit keinem Politiker bzw. keiner Politikerin wirklich warm werde; ist vermutlich auch ein Grund, warum politische Themen zuletzt ein wenig (zu) kurz kamen. Meistens lasse ich mich über Männer (die zugegebenermaßen häufiger als Frauen in der Politik zu finden sind) aus, aber heute ist mal Frau Lang dran, wobei ich genaugenommen eher deren Fürsprecher meine. Pluspunkt: Ich behandle alle gleich, das AGG ist erfüllt ;)
Zum offensichtlichen: Ricarda Lang ist übergewichtig.
"Ooooh, er hat sie dick genannt, sowas geht doch nicht"
"Bodyshaming!"
"Frauenfeind!"
Aufmerksamkeit generiert, whoop whoop! So here we go, Punkt eins: Ricarda Lang hat Übergewicht, dass wird niemand abstreiten können. Ob sie dafür etwas kann (einfach guten Hunger hat) oder das andere Gründe (Schilddrüsenunterfunktion o.ä.) hat weiß ich nicht, ändert aber nichts an der Tatsache, dass sie zu viel wiegt. Jemanden auf sein Gewicht hinzuweisen ist sicherlich nicht charmant, aber eine Falschaussage ist es nicht. Wer mich kennt wird bestätigen, dass auch ich sicher ein paar Kilo weniger vertragen könnte, aber mein Bauch ist eben nun mal da, ist halt Fakt.
Da ich eh gerne über mich rede, bleibe ich auch kurz bei dem Thema und komme zum zweiten Punkt: Wenn man im Berufsleben nicht gerade einer körperlichen Tätigkeit nachgeht, korrelieren Gewicht und Fähigkeiten eher selten. Ein runder Typ wie ich kann durchaus einen vernünftigen Job machen, insofern ist es kindisch, Ricarda Langs Aussehen mit ihren Skills gleichzusetzen (Ich halte beruflich zwar auch mal so gar nichts von ihr, aber darum geht es heute nicht). Auch wenn man nicht dem Schönheitsideal entspricht, kann man im Job spitze sein. Das Aussehen hat nichts mit Fähigkeiten zu tun.
Dritter Punkt: Wie viele andere Politiker polarisiert Ricarda Lang, meiner Auffassung nach auch schon bezüglich des Aussehens als auch ihrer Ansichten, was bei Politikern allerdings nichts ungewöhnliches ist. Aber es ist natürlich dämlich, unter einer ihrer (teils doch fragwürdigen) Aussagen/Kommentare mit einem noch dümmeren Kommentar - der sich dann häufig auf ihr Gewicht bezieht, aber nicht auf eine ihrer Aussagen eingeht - zu antworten. Sprüche wie "Was will man auch von so einer erwarten, die hat sich ja Null im Griff" sind da mehr als kontraproduktiv, da das nicht wirklich ein Argument ist. Unnötig ist es obendrein auch, da sie meiner Meinung nach bereits auf rein inhaltlicher (als auch auf Ausbildungs) Ebene ausreichend Angriffsfläche bietet, da muss man nicht auch noch auf der Optik herumhacken.
Fazit: Es ist unreif, ständig auf ihr Äußeres einzugehen, da das nichts mit ihrer Politik zu tun hat. Aaaaaaber: Dieses (gefühlt) ständige Gejammer, dass sei frauenfeindlich und in diesem Maße noch nie dagewesen, will ich so nicht stehen lassen. Die Älteren werden sich erinnern, es gab da mal einen Kerl namens Helmut Kohl. Gott bewahre, dass Ricarda Lang eines Tages Kanzlerin wird, aber einige Parallelen lassen sich durchaus erkennen: Beide bekannte Politiker, beide mit teils seltsamen Ansichten, beide mit einem BMI jenseits der 25.
"Birne" dürfte noch eine der nettesten Formulierungen gewesen sein, ansonsten hat auch er die volle Breitseite abbekommen, ohne Rücksicht auf Verluste. Der Spiegel hat die damalige Zeit treffend formuliert:
"Kohl, das war für viele Karikaturisten nämlich zunächst einmal nur das Naheliegendste: das Massige, das Provinzielle, das Tölpelhafte. Etliche Karikaturen zeigen den Politiker, wie er versucht, das zu machen, was er seinen Bürgern stets abverlangte - den Gürtel enger zu schnallen. Es scheitert regelmäßig an seiner Leibesfülle. Die Varianten dieses Grundmotivs sind fast grenzenlos."
So, und ich frage mich jetzt: Wo ist der Unterschied? Helmut Kohl wurde bis zu seinen Tod - 2017 müsste das gewesen sein, ist also noch gar nicht soooo lange her - karikaturiert, zu 99% als einfältiger dicker Mann mit einem Hang zum Saumagen. War das in Ordnung, war das fair? In diesem Ausmaß vermutlich nicht, wobei man als öffentliche Person mit solchen Geschichten oft konfrontiert wird und lernen muss, damit umzugehen oder sich (wenn Grenzen überschritten werden) im Ernstfall auch zu wehren.
Ich habe daher zwei Bitten:
- Wer sich mal über Ricarda Langs Aussehen lustig macht/gemacht hat, sollte hinterfragen, ob man eine gute Kinderstube genossen hat und was wohl die eigenen Eltern zu so einem Verhalten sagen würden. Bei Satire bin ich dabei, aber reines Beleidigen ist eher so bäh.
- Wer Ricarda Lang auf Teufel komm raus verteidigt, bei jeder Kritik in Schutz nimmt, Rücksicht einfordert und mit Samthandschuhen in Watte packt, darf andere Politiker konsequenterweise auch nicht angehen.
Nehmen wir mal Gunnar Lindemann, der als AfDler bei den Meisten (inklusive mir) als eher unsympathisch wahrgenommen wird. Darf man einen AfDler mehr angehen als eine Grüne, nur weil einem die Partei nicht passt? Hat der das dann vielleicht doch irgendwie "verdient", ins Lächerliche gezogen zu werden? Oder müsste man nicht auch hier generell verständnisvoll sein sich rein mit Aussagen, aber nicht mit Optik oder Verhalten auseinandersetzen? Wer für sich Toleranz einfordert, sollte dann auch vor der eigenen Tür kehren und nicht mit zweierlei Maß messen.